Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten wird die sich rechnerisch aus § 26b EStG ergebende Einkommensteuer gegen jeden der beiden Ehegatten in voller Höhe festgesetzt. § 26b EStG regelt nur die Ermittlung der Höhe der festzusetzenden Steuer, trifft aber keine Aussage über die verfahrensrechtliche Gestaltung der Veranlagung.
Die Ehegatten schulden die Einkommensteuer sodann als Gesamtschuldner, § 44 Abs. 1 Alt. 3 AO.
§ 44 Gesamtschuldner
(1) Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften oder die zusammen zu einer Steuer zu veranlagen sind, sind Gesamtschuldner. Soweit nichts anderes bestimmt ist, schuldet jeder Gesamtschuldner die gesamte Leistung.
Nur scheinbar handelt es sich bei der Zusammenveranlagung um eine einzige Steuerfestsetzung. Dies liegt zunächst daran, dass regelmäßig nicht jeder Ehegatte einen eigenen Steuerbescheid erhält, sondern die beiden Steuerbescheide in einem „Formular“ zusammengefasst werden, was § 155 Abs. 3 AO für gesamtschuldnerisch geschuldete Steuern zulässt. Bei auf diese Weise zusammengefassten Bescheiden handelt es sich aber nicht um einen einheitlichen VA, sondern um eine aus Zweckmäßigkeitsgründen zusammengefasste Mehrheit von Einzelfallregelungen (BFH BStBl II 1995, 681; 1986, 545).
§ 155 Steuerfestsetzung
(3) Schulden mehrere Steuerpflichtige eine Steuer als Gesamtschuldner, so können gegen sie zusammengefasste Steuerbescheide ergehen.
Verstärkt wird der Eindruck einer vermeintlich einheitlichen Steuerfestsetzung durch den Umstand, dass auch die Bekanntgabe nicht getrennt erfolgen muss, sondern vielmehr regelmäßig an die gemeinsame Anschrift erfolgt, § 122 Abs. 7 AO.
122 Bekanntgabe des Verwaltungsakts
(7) Betreffen Verwaltungsakte [..] Ehegatten oder Lebenspartner [..] so reicht es für die Bekanntgabe an alle Beteiligten aus, wenn ihnen eine Ausfertigung unter ihrer gemeinsamen Anschrift übermittelt wird.
Im Ergebnis ist also die nur scheinbar einheitliche Steuerfestsetzung Zweckmäßigkeitserwägungen geschuldet. Verfahrensrechtlich könnte die Einkommensteuer aber auch ohne weiteres in voller Höhe durch zwei getrennte Steuerbescheide (mit dem jeweiligen Ehegatten als Inhaltsadressat) festgesetzt werden, die dann auch getrennt bekannt gegeben werden könnten.
Der zusammenveranlagende Bescheid stellt also keinen einheitlichen Bescheid dar, wie er z.B. im einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungsverfahren ergeht; vielmehr handelt es sich um die Zusammenfassung zweier Bescheide zu einem gemeinsamen Bescheid, den jeder der Ehegatten mit verschiedenen Gründen angreifen oder gegen sich gelten lassen kann. Dass zusammen zu veranlagende Personen gemäß § 44 Abs. 1 AO Gesamtschuldner sind, schließt ihnen gegenüber die Möglichkeit verschiedener Entscheidungen nicht aus (BFH, Urteil vom 05. Februar 1971 – VI R 301/66 –, BFHE 101, 358, BStBl II 1971, 331, Rn. 8).
Aus diesem Grund lehnt der BFH in ständiger Rechtsprechung auch die zwingende Notwendigkeit einer Hinzuziehung bzw. Beiladung nach § 360 Abs. 3 AO bzw. § 60 Abs. 3 FGO ab (BFH a.a.O.; BFH, Urteil vom 25. April 2006 – X R 42/05 –, BStBl II 2007, 220, BFHE 212, 421; BFH, Beschluss vom 20. April 2010 – II B 131/08 –, juris).
Soweit es – was der BFH explizit in Kauf nimmt – zu unterschiedlichen Steuerfestsetzung gegenüber den Ehegatten kommt, ist für die Erhebung und Vollstreckung m.E. auf den gegenüber dem jeweiligen Ehegatten bestandskräftig gewordenen Steuerbescheid abzustellen, denn Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sind die Steuerbescheide, § 218 Abs. 1 S. 1 AO. Auch die Vorschriften über die Vollstreckung knüpfen an den jeweiligen Verwaltungsakt an, §§ 249, 251 AO. Der Steuerbescheid gegen den einen Ehegatten kann m.E. daher nicht zur Grundlage der Erhebung und Vollstreckung gegen den anderen Ehegatten gemacht werden.
Ergebnis für das Rechtsbehelfs- und Klageverfahren:
Soweit nur die Einkünfte des einen Ehegatten von einer Änderung der Steuerfestsetzung betroffen sind und die Vollstreckung gegen den anderen Ehegatten durch einen Antrag auf Aufteilung der Gesamtschuld nach §§ 268 ff. AO abgewendet werden kann, spricht mehr dafür den Rechtsbehelf bzw. die Klage nur im Namen des betroffenen Ehegatten zu erheben. Anderenfalls erhöht sich nämlich durch die Mehrvertretung (ohne Not) die Anwaltsvergütung. Darüber hinaus hätte das Gericht bei entsprechender Kostenentscheidung auch einen zusätzlichen Kostenschuldner. Da es im Unterliegensfalle nicht selten vorkommt, dass der Kläger Insolvenz anmeldet, wäre es misslich, wenn die Gerichtskosten dann beim anderen Ehegatten „hängen bleiben“.
Anders verhält es sich bei Erstattungsfällen. Hier kann durch einen Antrag auf Aufteilung der Gesamtschuld keine Erstattung erlangt werden, weil der Antrag nur Vollstreckungsfälle betrifft; aufzuteilen ist lediglich die (noch nicht getilgte) rückständige Steuer (§ 269 II 2, § 270 AO; BFH VI S 4/04 BFH/NV 04, 1624; vgl auch BFH VII R 42/10, BStBl II, 607). Hat der den Aufteilungsantrag stellende Ehegatte „zu viel“ bezahlt, geht der Aufteilungsantrag ins Leere; Erstattung kann er wegen der gegen ihn wirkenden „zu hohen“ Steuerfestsetzung nicht erlangen (Schmidt/Seeger EStG § 26b Rn. 18, Steuern und Bilanzen).
Es ist somit im Einzelfall zu prüfen, ob das Rechtsbehelfs- / Klageverfahren sinnvollerweise im Namen beider oder nur eines Ehegatten geführt werden sollte.
Einspruch / Klage für beide Ehegatten | |
pro | contra |
Steuerfestsetzung wird auch gegen den „anderen“ Ehegatten nicht bestandskräftig
Kein Verzehr von zu hohen Vorauszahlungen durch unzutreffend hohe Steuerfestsetzung |
Mehrvertretungsgebühr, Nr. 1008 VV RVGWeiterer Kostenschuldner für Gerichtskosten |